KalliopeVon der Muse geküsst
Arthur Gordon Wolfs »Kalliope«

Markus Reuther ist verzweifelt. Der Autor kommt nicht recht voran mit seinem neuen Roman um Nora Bolden. Er schiebt es darauf, dass die weibliche Hauptfigur nicht mehr mit ihm kommuniziert. Manchmal denkt er aber auch daran, dass es daran liegen könnte, dass ihm als finanziell unabhängigem Autor einfach etwas der "Druck" fehlt, um ihn zu inspirieren. Tja, und dann bekommt er plötzlich Druck, aber ganz anders als er sich das vorgestellt hat.


Arthur Gordon WolfDer Autor
Arthur Gordon Wolf, Jahrgang 1962, gehört zu den besten deutschsprachigen Kurzgeschichtenschreibern. Seit mehr als 25 Jahren verfasst er Geschichten, die mit dem Element des "Doppelbödigen" arbeiten. Anfangs waren es hauptsächlich Kriminalgeschichten, dann auch Horror, SF und Fantasy. 2010 wurde er für seine Novelle "Die Dunwich Pforte" mit dem Vincent Preis ausgezeichnet. 2013 erschien darüber hinaus sein umfangreiches Werk "Katzendämmerung", bei dem es sich eigentlich um eine Trilogie handelt. Hier wie auch in etlichen Kurzgeschichten kommt auch eine gehörige Prise Erotik dazu.

Zuletzt erschienen 2016 von Arthur Gordon Wolf die Novelle "Flashbacks" in Mängelexemplare: heimgesucht" (Amrûn) und "Die Ehrenbürger von Monteagudo" in "Meerkatzen" (Arunya).

KalliopeDer Plot
Kalliope, die mit der schönen Stimme, ist die Muse der epischen Dichtung, der Rhetorik, der Philosophie und der Wissenschaft. Sie wird mit Schreibtafel und Schreibgriffel dargestellt und gilt als älteste der neun Musen. So jedenfalls findet man es bei Wikipedia.


Nora P. Bolden jagt mit einer Tasche gestohlenem Geldes auf dem Rücksitz und einem fast leeren Benzintank durch die Prärie. So weit, so gut. Doch dummerweise fällt Markus Reuther nichts Gescheites dazu ein, wie es weitergehen soll, wo die Story hingehen soll. Nur zu gerne lässt er sich deshalb von seinem alten Freund Schotti zu einem gemeinsamen Essen oder einem Discobesuch überreden. Im Laufe des Besuchs einer solchen After Work Party begegnet er KA. Dabei handelt es sich um eine schlanke, rotblonde Frau. Ihr gesteht er sein Schreibproblem. Vom Alkohol beschwingt sagt er:

"Zuweilen wünschte ich mir, ein Typ würde mit gezogener Waffe hinter mir stehen und sagen: Schreib, du fauler Mistkerl! Schreib, und lass die Finger von Facebook und Konsorten! Schreib endlich deinen Roman zu Ende oder ich verteile dein verdammtes Gehirn über den Monitor!"

(S.143)

Ein paar Tage darauf erhält er eine mit K. unterzeichnete Email, in der es heißt:

"Schreibe immer!
Tag und Nacht.
Und fürchte den Zorn der Götter!"

(S.150)

Von wem stammt diese Nachricht? Ist es seine Bekanntschaft von der After-Work-Party oder doch ein fanatischer Leser? Und was hat es mit den irgendwie altmodisch gekleideten Frauen auf sich, die Reuther seit einiger Zeit immer wieder aus der Ferne sieht? Gibt es vielleicht doch griechische Götter, die ihm ihre Aufmerksamkeit widmen?

Als Reuter wieder einmal lieber dem Müßiggang frönt als zu schreiben, überschlagen sich die Ereignisse. Seine Autotür wird zerkratzt und bei genauerer Untersuchung in der Werkstatt stellt sich heraus, dass es nicht nur einfache Kratzer sind, sondern die Botschaft: Schreib! Reuther bekommt es mit der Angst zu tun. Wie weit wird die Unbekannte noch gehen? Er sucht Hilfe bei seinem Freund dem Reporter Schotti. Tatsächlich sieht es für kurze Zeit so aus als ob sich K. austricksen lässt, aber dann ...

Stil und Aufbau
Der Roman besteht aus 40 Kapiteln, die manchmal nur aus einer Seite bestehen. Es gibt vier Ebenen. Zum einen geht es um die Erlebnisse  von Markus Reuther, zum anderen sind es Kapitel aus seinem Roman um Nora Bolden. Dazu kommt noch eine Kurzgeschichte um vier Jungen, die ein Baumhaus haben und eines Tages eine nächtliche Spritztour mit einem "geliehenen" Lastwagen zu einem Badesee starten. Und schließlich gibt es die Email-Nachrichten von K.  Zuerst wird die normale Alltagswelt des Autoren Markus Reuther mit all ihren kleinen Problemen und Unzulänglichkeiten geschildert.

Dabei werden die Nöte eines mittelerfolgreichen Schriftstellers thematisiert als da sind: Umgang mit Fans, Schreibblockaden, soziale Isolation und Beziehungsprobleme. Dann bricht langsam zuerst und fast unmerklich das Grauen ein. Zuerst sind es nur Frauengestalten, die noch als Halluzination abgetan werden können, dann bedrohliche Emails mit unklarer Herkunft, schließlich wird das Auto demoliert und die Eskalation ist damit noch lange nicht zuende. Die Frage ob dahinter ein fanatischen Leser oder doch eine übernatürliche Präsenz (Stichwort Muse) steht, wird bis zuletzt offen gehalten.

Fazit
"Kalliope" ist eine dieser Geschichten, die Arthur Gordon Wolf so gerne erzählt, doppelbödig, atmosphärisch dicht und mit einem fantastischen Einschlag. Neu ist, dass die Story nicht in den USA oder sonst irgendwo weit weg auf der Welt spielt, sondern in Wuppertal. Gewissermaßen handelt es sich um einen Regio-Thriller. Mir gefällt besonders, dass die Hauptperson ein ganz normaler Mensch ist, quasi der nette Autor von nebenan, keine Kampfmaschine und keine Intelligenzbestie ist. Für alle Leser von Arthur Gordon Wolf ist der Band ein Muss, aber auch für alle Menschen aus Wuppertal und Umzu sowie die Freunde spannender Unterhaltung lohnt sich der Griff zum Buch.
Kalliope
Kalliope
von Arthur Gordon Wolf
Cover: Mark Freier
ISBN: 9783958351769
415 Seiten
Euro 13,95
Luzifer 2017